Die Bundesstraße 3 war die meistbefahrene Straße unserer Stadt. Alle Stunde kamen zehn Autos. Cordula, meine Schulkameradin, meinte eines Tages, wir müssten den lebhaften Verkehr beobachten. Und so holten wir zwei Klappstühlchen aus ihrer Wohnung und setzten uns mit einem Notizheftchen und einem Bleistift an den Straßenrand und warteten angespannt auf die Fahrzeuge.
Einmal fuhr ein Motorrad mit Beifahrersitz an uns vorbei, dann ein Pferdekutscher mit zwei Ackergäulen, die das Bier kutschieren mussten, dann grüßte ein Radfahrer belustigt mit erhobener Hand, dann keuchte ein alter Mercedes daher, dann ratterte ein Omnibus seine Linie entlang, und dann konnte es sein, dass eine halbe Stunde Leerlauf auf dem Kopfsteinpflaster war. Cordula und ich notierten begeistert fremde Autonummern in die Karoheftchen, und dann sahen wir neugierig in einem Kalenderchen nach, woher die Autoschilder kamen.
Die Sonne brannte herzlos auf unsere Kinderköpfchen herunter, aber das machte uns nichts aus. Die Benzinwölkchen waren damals noch spärlich, und das Wort OZON war für uns sowieso ein Fremdwort. Kinder gingen an uns vorüber und schauten uns neugierig zu, wie wir kritzelten und blätterten, und wir fühlten uns groß und wichtig bei unseren Eintragungen.
Noch heute denke ich schmunzelnd an jene Tage zurück, wo wir sehnsüchtig zur Kurve starrten, um das nächste Auto zu sichten und aufzuschreiben. Oh Gott, wie hat sich doch diese Welt verändert! Wie aufregend war damals ein Lastwagen, und wie aufregend ist er heute!
Die Radfahrprüfung
Die Fahrradprüfung machte mir von Zeit zu Zeit der Herr Hildebrand in seiner Reparaturwerkstätte. Die Radfahrprüfung musste ich ganz alleine machen. An diesen Tag erinnere ich mich so genau, als sei er heute Vormittag gewesen.
Die ganze Klasse nahm an dieser Prüfung teil, und über dreißig blankgeputzte Vehikel warteten auf den Start.
Das einzige Verkehrsschild, das ich damals kannte, war das HALT, und der größte Narr musste kapieren, dass er vor jenem Mahn-Schild absteigen musste. So fiel mir diese Übung überhaupt nicht schwer. Leider kannte ich die anderen Hinweistafeln vom Wegsehen und so hatte ich bald das Nachsehen, was meine Freude am Radfahren nicht trüben konnte.
Die Mädchen und Buben setzten ihre Pedale in Bewegung und strampelten im zeitlichen Abstand schön brav hintereinander an den eingesetzten Schupos vorbei. Mein blaues Fahrrad blitzte in der Sonne, meine Augen funkelten und mein Herz pumperte dem Signal entgegen. Ich kam an die Reihe, und ich fuhr und fuhr. Hei, es war ein Vergnügen, denn ich fühlte, es lief wie geschmiert. Ich radelte gewohnte Straßen, grüßte die gewohnten Passanten und machte die gewohnten Fehler. In der letzten Kurve schlug der Schutzmann die Hände über dem Kopf zusammen, und ich wusste gar nicht, was ihm fehlte. Ich fiel durch die Prüfung hindurch, denn ich hatte die Kurven geschnitten, und so fehlt mir bis heute der kleine Bestätigungszettel, dass ich mich durchs Leben strampeln kann!
© Barbara Mitteis