Hier ist eine weitere Bruchsaler Geschichte von Frau Mitteis. Dieses Mal berichtet sie über den Jahreswechsel im Nachkriegs-Bruchsal.
„Als ich klein war, mochte ich keinen Lärm und verursachte diesen doch mit den mitspielenden Kindern.
In den vier Wänden war Radau-Machen untersagt und war das elfte Gebot der Rücksichtnahme: Du sollst nicht …
Ganz anders ertrugen wir Kleinen die Silvester-Knallerei, obwohl wir nur Wunderkerzen schwenken durften. Mama konnte sagen: „Durch die ganze Ballerei hört man nicht mehr die Stimme Gottes.“ Und die Stimme Gottes waren die Glocken, die durch den schwarzen Äther durch die Höhen über unserer Stadt Bruchsal schwingen wollten.
Damals war das „Knallfest“ in keiner Weise zu vergleichen mit den später folgenden Jahren. Hei, was hatten wir Kinder zu tun, um zur nächtlichen Stunde unsere Haustiere zu beruhigen. Dem Dackelchen stellten sich die Haare, der Wellensittich verkroch sich auf den Boden im Käfig, der Kanarienvogel vergaß, dass er sonst singen konnte und der Goldhamster verbarg sich ängstlich in seinem Zigarrenkistchen und wollte sein geliebtes Rad nicht drehen.
Wir Kinder durften aufbleiben und je älter wir wurden, je mehr fühlten wir uns erwachsen, denn das Kinderbelustigungswasser, der Sprudel, wurde ersetzt durch eine dünne Kullerpfirsichbowle, und das einzige, was dann wirklich kullerte, das waren wir, als wir nach Mitternacht ins Bett mussten.
Ach du lieber Himmel, was erwarteten wir damals noch alles vom neuen Jahr. Und die hunderttausend gute Vorsätze blieben eine ungelöste Rechenaufgabe, die nicht einmal Einstein hätte lösen können, immer lieb und artig sein … das war so eine Sache. Aber es gibt eben Sachen, die man in die Tat umsetzen sollte und nicht nur im Kindsein beherzigen muss.
Wenn das Gebollere dann herum war, stiegen wir übermüdet ins Bett, denn am nächsten Morgen fing man das neue Jahr mit dem Kirchgang an und hörte nicht die Matratze ab. Ich entsinne mich noch wohl an den Weg zur Messe. Eisig kalt waren in den fünfziger Jahren noch die Winter, aber die Orgel brauste und heizte dadurch den Gläubigen ein warmes Herz ein. Wohin sind jene Zeiten, wo die Stimme Gottes uns noch etwas zu sagen hatte? Prosit Neujahr!“
© Barbara Mitteis