Die erste Lüge empfing mich aus dem Munde eines Mannes, nämlich, als der Chefarzt meiner Mutter erklärte, ich sei das schönste Baby vom ganzen Krankenhaus.
Meine ersten Worte waren nicht „Mama“ und „Papa“, mein erstes Wort war „Ada!“. Kaum angekommen, musste ich von dieser Welt schon genug gehabt haben.
Meine erste große Liebe hieß KLAUS. Er war siebzehn Jahre alt, Torwart und Schüler. Ich war eineinhalb Jahre und begeistert von ihm. Wurde ich von den Erwachsenen gefragt, wen ich einmal zu ehelichen gedenke, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen: „Ich heirat‘ mal Klaus Odenwald!“ Der versprach mir hoch und heilig auf mich zu warten, aber die Zeit und er rannten mir dann doch davon.
Mit zwei Jahren lernte ich dann in Gestalt des HANS die Männer so richtig kennen. Hans holte mich ab, um mich zu hüten und stellte mich im Hof auf ein Mäuerchen und schubste mich zu den Truthähnen hinunter. „Sie fällt immer um“ erklärte er meiner Mutter die aufgeschlagenen Knie. Eine fürsorgliche Nachbarin machte dann dem alltäglichen Rendezvous ein Ende.
Drei Jahre später trat HELMUT in mein Leben. Es war die erste Kindergartenbekanntschaft und diesmal wollte ER mich heiraten. Er konnte sich nicht entschließen, ob er einmal Doktor oder Lokomotivführer werden wollte. Einerseits war es geradezu verlockend den Leuten den Bauch aufzuschneiden, andernseits war ein Zug mit lauter Puffwölkchen auch keine schlechte Sache. Er wurde später Ingenieur und ließ dadurch sicher viele Menschen am Leben. Er war entsetzlich eifersüchtig und verprügelte mich, wenn ich mit anderen Kindern spielte. Ich zog es daher vor, mich von ihm zu trennen.
Mit PETERLE handelte ich auf dem Briketthaufen. Seine Mutter handelte mit Kohlen und dementsprechend sahen wir auch aus. Die Freundschaft zerbrach nicht nur wegen der „Hygiene“.
Nicht vergessen darf ich SEPP. Sepp war ein kräftiger Bauernbub und lebte auf dem Lande. Er hatte für mich eine kleine Schwäche, da ich aus der Stadt kam und nie eine Schürze trug. In den Ferien schrieb ich ihm jeden Tag einen kleinen Küchenzettel und bestellte mir darauf Karotten, Tomaten, Erbsen, Äpfel und Nüsse. „Mal sehn, wenn’s nicht regnet“, sagte er immer und brachte mir bei Wind und Wetter aus dem elterlichen Garten das Grünzeug.
Im Kommunionsunterricht lernte ich EMIL kennen. Emil war sehr fromm, sammelte Heillgenbildchen und konnte den ganzen Katechismus auswendig. Er beeindruckte mich tief. Aber Emil mochte keine Hüpfspiele und so sprang ich meiner Wege.
Ein scheinheiliger Patron hingegen war UWE. Uwe war ein Weiberfeind, aber es zog ihn immer verdächtig in meine Nähe. Jede Woche stieg er die zwei Treppen hoch, um ein neues Buch von mir zu leihen. Erst viel später erkannte ich, dass er damals nicht in mich, sondern in meine Bücherkiste vernarrt war.
Meine letzte Kinderliebe hieß S‚NORBERT. Seine Mutter rief ihn immer so und es bleibt mir bis heute ein Rätsel, warum sie dies wohl tat. Ich lernte ihn auf der Turnstange kennen. Er war immer sehr lieb und schüchtern. Er schenkte mir Steinchen, eine Schleuder und andern Bubenhosentaschenkram. Da er mir nie ein Heiratsangebot machte, brauchte ich auf ihn nicht zu warten.
Als ich vierzehn Jahre alt war, wurden die Heiratsaussichten schon ernster. Das ist aber ein anderes Kapitel und wird ein ungeschriebenes bleiben.
Ich gehöre nicht zu der Sorte Frau, die mit Männern wie mit Hampelmännern spielt, um sie dann an einen Nagel zu hängen oder in ein Sammelsurium einzuordnen. Ich belächle die Frauen, die unentwegt ihren Hundertschaften von Verehrern nachtrauern. Eine Frau sollte über Vergangenes schweigen können. Dies gilt nicht für die kleinen harmlosen Kindheitserinnerungen. Sie sind mir die Liebsten. Sie liegen noch in jenem Lebensabschnitt, in dem man an die Liebe glaubt wie an den Weihnachtsmann.
(Meinem lieben Mann, der mir meine frühen Herrenbekanntschaften gewiss verzeiht)
© Barbara Mitteis