Bruchsal, Bruchsaler Geschichten

Der Herr Medizinalrat Dr. Schmich aus Bruchsal

Doktor Schmich war ein Medizinalrat und gehörte in der Stadt zu der grauen Eminenz und den Honoratioren. Erst allmählich begriff ich, dass eine graue Eminenz nicht ein verblichener Bischof war und Honoratioren nichts mit Arzthonoraren zu tun hatten.

Doktor Schmich sah meinem Großpapa sehr ähnlich. Er besaß einen weißen Haarrand, einen weißen Spitzbart, eine Nickelbrille, einen schwarzen Anzug und einen schwarzen bauchigen Mercedes.

Damals saß einem Arzt noch nicht die Zeit im Nacken, und damals hieß der Stresss einfach Anspannung, Blackouts waren Gedächtnisausfälle und damals wurde weder „getaimt“ noch „gedscheckt“, sondern geplant und erfasst.

Damals war Geld für einen berufenen Mediziner kein Thema und damals war ein schwerer Verkehrsunfall das traurige Ereignis des Jahres.

Wenn Doktor Schmich am Straßenrand anhielt und mit seinem schwarzen Hebammenköfferchen Hausbesuche machte, hielt ich den Atem an. Ich beobachtete aufmerksam und schüchtern den feinen alten Herrn, grüßte artig und zog die faltigen Kniestrümpfe zurecht.

In unserer Familie gab es eine Menge studierter Leute, aber das war für mich so normal, wie der tägliche Marmeladenklecks auf dem Frühstücksbrot. Hätte ich zu wählen gehabt zwischen der vornehmen Verwandtschaft oder meiner Konfitürenschnitte, hätte ich letzterer den Vorzug gegeben, denn von einem Titel kann kein Mensch herunterbeißen.

Der Herr Medizinalrat bildete eine Ausnahme, denn im Respekt kam er bei mir weit vor Papa Heuss. Zu Großpapa konnte ich gehen und meine kleine Patschhand in die seine legen. Er war mir vertraut und auch die Onkels und Tantens gehörten zum gewohnten Erscheinungsbild, aber dieser alte Herr, zu dem ich nicht einfach hingehen konnte, genauso wenig wie zum Bundespräsidenten, war für mich etwas Besonderes.

Viele Jahre später, ich war schon eine verheiratete Frau, erzählte ich einmal Papa von dem Herrn Doktor Schmich und wie jener mein kleines Kinderherzchen höher schlagen ließ. Papa lächelte und erklärte mir, dass der Arzt die Cousine von seinem Papa geheiratet habe. So war er anverwandt mit unserer Familie, aber weil die Familien keinen Kontakt hatten, blieb ich kleines dummes Mädchen unwissend.

Doktor Schmich ist schon lange tot, sein Mercedes wohl verschrottet, seine Patientenkarteien eingestanzt.

Er soll sehr liebenswürdig und gütig gewesen sein. Trotz seinem dunklen Frack und Zylinder hinterließ er in meinen Erinnerungen ein helles Bild. Dieses Portrait, das ich leider nicht malen, aber beschreiben kann, trägt ein Signum, das schon lange Zeit in Vergessenheit geraten ist, und das Zeichen heißt WÜRDE!

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