Bruchsal, Bruchsaler Geschichten

Der Zeitungskiosk beim Bruchsaler Postamt und die Micky-Maus-Heftlen

Diese Paar-Quadratmeter-Bretterbude weckte meine ganze kindliche Neugier, weil ich nicht glauben konnte, was diese fünf Buchstaben für bare Münze alles hergeben konnten.

Der Kiosk stand am Rande der Postanlage gegenüber der Gewerbeschule und wartete auf zahlungskräftige Schüler und Passanten. Mama hatte nichts dagegen, wenn ich zu dem kleinen Schaubüdchen lief, denn in den fünfziger Jahren waren die Titelblätter noch keusch und züchtig, und wenn etwas entblättert wurde, so waren es nur die Zeitungen von einem starken Wind. Hinter dem Schiebeglas des Kiosks stand entweder der Herr oder die Dame des Hauses, und beide zeigten beim Lachen ihre Raffelzähne, gerade so, als trügen sie das ein- und das selbe Gebiss.

Ich weiß bis heute noch nicht, wie ich mit meinen Silber- und Messingstückchen meine Hobbies finanzierte, aber hie und da hatte Papa Mitleid, und ein großes Fünfmarkstück lag auf meinem Handteller, um ausgegeben, zu werden. Mama wollte nicht in allen Dingen rückständig sein, und so erlaubte sie mir nach mancherlei Bettelei am Kiosk Bildungsliteratur zu kaufen. Wöchentlich holte ich mir das Micky-Maus-Heftchen, ergötzte mich am geizigen Dagobert, erlebte mit den A- und B-Hörnchen lustige Abenteuer, lachte über den doofen Goofy und liebte Tick, Trick und Track. Ich schüttelte den Kopf über den gänslich dummen Donald, der sich von der hinreißenden Daisy immer wieder hinreißen ließ.

Mama schüttelte auch den Kopf und sagte immer wieder: „Kind, Kind.“ Der große Bruder Walter steckte seinen Kopf in Authentisches, und Hubert, der Lateinschüler, las Homer und Ovid auf stotternde Weise. Ich dackelte mit unserem Dackel pünktlich wie ein Wecker an jedem Wochenende zu dem Holzhüttchen und erwarb mir somit meine neuesten Kenntnisse.

Im Sommer umschwärmten die Wespen den Papierkorb, aus der winzigen Räumlichkeit duftete es nach Tabak und Schokolade, bunte Bonbons leuchteten aus einem Glas direkt neben dem Glastürchen, Rentner holten sich ein Flaschenbier, eilige Fußgänger nahmen die Tagespresse unter die Arme, Schlagzeilen nahmen die Leute auf den Arm, ein paar armselige Äpfel und Birnen warteten auf kurzsichtige Kunden, Kinder holten ihre Lakritze und ihre Kaugummis, und ich lief durch die Parkanlage und freute mich auf die Sonntagslektüre.

Eines Tages sagte Mama: „Findest du nicht, dass du dieses Heftchen einstellen solltest? Spare dein Geld für gute Bücher.“ Gute Bücher bekam ich ja geschenkt, und die Aussicht, das Heftchen nicht mehr kaufen zu dürfen, trübte etwas meine Einsicht.

Ich ging auch noch im darauffolgenden Winter zu der kleinen Bretterbude. Schon von Weitem sah ich die winzigen Paffwölkchen aus dem schlanken Ofenrohr das Freie suchen. Mein Hund Joggele konnte wespenfrei den Papierkorb beschnüffeln, und ich konnte sorgenlos auf dem Nachhauseweg in der Micky-Maus schnüffeln.

Eines Tages war zuerst mein Interesse – und kurze Zeit darauf war das Bretterbüdchen weg!

© Barbara Mitteis

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