Die Schwester Gertrud vom Käthe-Luther-Kindergarten
Schwester Gertrud war Diakonissin und somit protestantisch. Ich protestierte aber keineswegs, als ich im lutherischen Kindergarten angemeldet wurde. Erlebte ich doch zwei Tage lang eine unbarmherzige Kindergartenschwester in einem katholischen Kinderhort.
Der Weg zum katholischen Kinderhort war weit, die Straßen gefährlich und am gefährlichsten erschien mir die gestrenge Ordensfrau, die gleich morgens um Acht zwanzig nackte Kinderpopos verhaute. Ich bekam keine Tracht, weil ich eine Neuanmeldung war und die Abmeldung am dritten Tage erfolgte. Schwester Gertrud vom lutherischen Kindergarten war ungemein gütig und bestens geeignet für gut erzogene und schwer erziehbare Kinder.
Der Herr Doktor Schmich
Doktor Schmich war ein Medizinalrat und gehörte in der Stadt zu der grauen Eminenz und den Honoratioren. Erst allmählich begriff ich, dass eine graue Eminenz nicht ein verblichener Bischof war und Honoratioren nichts mit Arzthonoraren zu tun hatten.
Doktor Schmich sah meinem Großpapa sehr ähnlich. Er besaß einen weißen Haarrand, einen weißen Spitzbart, eine Nickelbrille, einen schwarzen Anzug und einen schwarzen bauchigen Mercedes.
Das Männele
Männele Riegel war ein kleines bronzefarbenes Kerlchen und als ich ihn achtjährig kennenlernte, war er die Hälfte. Er und seine Familie wohnten über dem Herrn Pilz und über der Gaststätte Krenzle und die Behausung erinnerte an Onkel Toms Hütte.
Wie Männele zum Vornamen hieß, weiß ich nicht mehr, aber er machte seinem Namen alle Ehre. Er wirkte wie ein Männlein im Walde, schlug Purzelbäume im Gras, blieb nie an den Zäunen hängen, tauchte auf und verschwand und entkam als erster Frau Mosbachers Wasserkübel. Männele war sicher das achte Zwerglein von Schneewittchen, wovon die Gebrüder Grimm vergaßen zu erzählen.
Männele baute Sandburgen und wollte später wie sein Vater Maurer werden.
© Barbara Mitteis
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