Bruchsal, Bruchsaler Geschichten

Der Gutnachtonkel – ein weiterer Beitrag von Barbara Mitteis

Was wissen schon Erwachsene von Kinderseelen, die sich mit den Hühnern zu Bett begeben müssen? Das heißt, besser gegackert: Die Hühner auf die Stange, die Kinder in ihr Körbchen!

Der Gutnachtonkel wusste um derlei Kindernöte, und so wusste er auch die schönsten Gutenachtgeschichten.

Gefüttert, gewaschen und gestriegelt saß ich mit meinen brav lauschenden Brüdern vor dem Radioapparat und wartete auf das allabendlich gesprochene Betthupferle.

Elwenspoek hieß der wohlvertraute fremde Onkel, aber sein Name war GUTNACHTONKEL, und dieses melodische Wort meldete sich immer unter dem gleichen Klingklang zu Wort. Ach, der gute Mann konnte in fünf Minuten eine Jahresgeschichte erzählen, und er sprach von guten und bösen Kindern, und von den unguten und gutmütigen Großen, und wir Kleinen lauschten den Predigten des Herrn Pfarrers nie so andächtig, wie eben diesem Gutnachtonkel. Eigentlich predigte er auch, aber auf andere Weise, und er ermahnte die braven Kinder noch besser zu werden, und die weniger braven Kinder nicht schlechter zu werden.

Wenn er Märchen erzählte, achtete ich darauf, daß seine Erzählweise sich deckte mit der der Gebrüder Grimm, des Wilhelm Hauff oder des Christian Andersen. Wehe, auf dem Tischleindeckdich fehlte etwas oder dem armen Schwefelmädchen gingen im verkehrten Augenblick die Zündhölzer aus, der Gutnachtonkel wäre erledigt gewesen!

Manchmal erkundigte sich der Gutnachtonkel auch nach dem werten Befinden seiner kleinen Zuhörer, und dann fühlten wir uns, jeder für sich, höchstpersönlich angesprochen.

Der Gutnachtonkel war der Schlussteil des Tages im weltlichen Sinne. Meist stiegen wir froh in unsere Bettgestelle, um unsere Nachtgebetlein zu sprechen.

Die Brüder meist still, und ich meist sehr laut.

Heute würde der gute alte Gutnachtonkel wohl kaum mehr ein Kind hinter dem Ofen hervorlocken. Heute flimmern bunte, grelle Bilder über den Bildschirm, und Dynamit und anderer Zündstoff sorgen für nervöse Kinderträume.

Ich möchte jene Zeit nicht missen, wo wir jenen Geschichten und Klängen lauschten, die Seelen entfalteten und das Innere formten. Oh, du arme Jetzt-Zeit! Was hast du noch zu bieten? Päng, Batsch, Boller, Wow, Yeah und Power! Einfach irre …

© Barbara Mitteis

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