Auch’s waren zwei Schwestern und sie führten einen Tratschladen. Das eine Fräulein Auch war sehr hager, hatte eine Brille auf der Nase und ein winziges Haarknötchen im Nacken. Für kleine Kinder hatte sie meist nur ein süßes Lächeln übrig und nur alle halbe Jahr suchte sie in einer Schublade nach einem Stückchen Bruchschokolade. Ihre Schwester war kugelrund, trug eine Haarkrone und eine dunkelblaue Blümchenschürze. Ich mochte sie mehr, weil sie nach dem Geldherausgeben den Bonbonglasdeckel hob.
Eines Tags kam ich nach Hause, stellte das Einkaufsnetz auf den Küchenhocker und erzählte Mama: „Der hat’s mit der und die hat’s mit dem!“ Mama erschrak sehr, aber als sie nach einigen Fragen herausfand, daß ich mit dem Begriff „hat’s“ nichts anfangen konnte, war sie wieder beruhigt. Ich durfte nun plötzlich mehr zum Herrgottsmüller einkaufen gehn, was mir recht war, denn seine Himbeergudis und die kürzere Wartezeit behagten mir weitaus mehr.
Furchtbar gerne lief ich in die Metzgerei Maul. Frau Maul war eine liebe Frau, die mir immer einen Wurstzipfel über die Ladentheke herunterreichte. Sie hatte einen rothaarigen Mann, fünf rothaarige Buben, ein rothaariges Mädchen und einen rothaarigen Schäferhund, der Ajax hieß. Ajax Maul war ein gutmütiger Kettenhund, der nur aus Pflichtgefühl bellte. Trotzdem teilte ich meist mit ihm meine Wurstscheibe, um sicher an ihm vorbei zu kommen.
Am allerliebsten besuchte ich den Bäcker Gutfleisch. Mama backte manchmal so große Hefezöpfe, dass sie nicht ins Ofenrohr passten und so war es mein ganzes Vergnügen, dieses monströse Gebäck in die Bäckerei zu tragen und wieder abzuholen. Ich lief die ausgebombte Häuserzeile entlang und sah aus den Mauergerippen die Brennesseln wachsen. Bäcker Gutfleisch hatte eine Notunterkunft, aber keine Backstube! Dennoch war es bei ihm herrlich interessant.
Er war ein netter alter Herr, etwas füllig mit einem grauen Haarrestbestand, der immer ein paar Witze wußte. Ich durfte auf einem alten Schemel Platz nehmen und ihm bei der Arbeit zusehen. Wenn der Puderzucker und das Mehl durch die Luft stäubten, das Brot Farbe annahm und seinen Duft verbreitete, die Eier aufgeschlagen wurden und die Butterkremtorte verziert wurde, dann kamen meine Kinderaugen aus dem Staunen nicht mehr heraus! Alles ging mit einer Geschwindigkeit, die mir schon beinahe ungeheuer war.
Bäcker Gutfleisch steckte mir jedesmal zerbrochene Kekse zu oder ließ mich von der Teigschüssel naschen. Als Gegengabe erzählte ich ihm kleine, selbsterfundene Geschichten, die er alle glaubte!
Bäcker Gutfleisch hatte eine brave Frau, die fleißig hinter der Kuchentheke frische Brötchen verkaufte und drei hübsche Töchter. Ganz besonders gefielen mir die Zwillinge, die ich nie auseinander halten konnte. Sie waren ganz zum Gegensatz von Ute, die meist sehr brummig war, immer sehr fröhlich und ausgelassen. Ich bewunderte die dunklen aparten Mädchen sehr.
An einem heißen Sommervormittag machte ich auf der Straße alleine meine Hüpfspiele, als ein großes Auto am Bürgersteig anhielt. Ein Mann mittleren Alters frug mich, ob ich mit ihm fahren wolle und sagte: „Gutfleischs Mädchen fahren auch mit!“ Das war ein verlockendes Angebot, da ich die Mädchen so sehr mochte. Oh ja, ich wollte mit dem schönen Auto fahren, aber meine strenge Erziehung meldete sich in einem einzigen Augenblick heftig und so gab ich zur Antwort: „Ich muss erst noch die Mama fragen!“ – und sprang die Stufen hoch. Mama ging mit mir sofort auf die Straße und das Auto war weg. Wir liefen zum Bäcker Gutfleisch und ich berichtete ihm von der tollen Einladung. Er rief sein Trio herbei, das nichts von einem Ausflug wusste. Ich begriff gar nicht, warum die Erwachsenen plötzlich von der Polizei sprachen und den Mann einen Sittlichkeitsstrolch nannten. Mir war nur klar, dass die Ausfahrt an jenem strahlend hellen Sommertag ins Wasser gefallen war.
Mama zog mich an sich, fuhr mir über das Haar und sagte: „Kind! Du hattest einen Schutzengel!“ Vielleicht war es jener Schutzgeist, der Papa im Krieg oft wunderbar beschützte und der ein kleines Mädchen nicht ins Unglück fahren lassen wollte? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich an jenem Morgen zu Fuß mit einem großen Zuckerkringel nach Hause ging!
© Barbara Mitteis
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